(Autor: Dr. med. Claus-Hermann Bückendorf)
Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine chronische Erkrankung, die die Lebensqualität vieler Betroffener stark einschränkt. Zu den Beschwerden zählen unter anderem Fatigue, also starke Erschöpfung, Schmerzen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Die Symptome können sich schon nach leichten körperlichen oder geistigen Aktivitäten für Tage oder auch Wochen verschlimmern. Diese Belastungsintoleranz oder Post-Exertional Malaise (PEM) gilt als Leitsymptom der Erkrankung.
Als eigenständige klinische Entität ist ME/CFS von der chronischen Fatigue abzugrenzen, die als Symptom bei ganz unterschiedlichen Erkrankungen auftritt. Die Diagnose ME/CFS wird anhand etablierter internationaler Diagnosekriterien klinisch gestellt und erfordert zum Ausschluss anderer Diagnosen eine sorgfältige Stufendiagnostik. Eine kausale Therapie für ME/CFS ist nicht etabliert, im Vordergrund steht die Linderung der Beschwerden, die Behandlung der oft begleitenden orthostatischen Intoleranz sowie die Unterstützung beim vorausschauenden Energiemanagement („pacing“).
Was verstehen wir unter Long-Covid / Post-Covid-Syndrom ?
Nach COVID-19 Infektion bestehen oft nach Abklingen der Infektion anhaltende komplexe Beschwerden, darunter häufig Fatigue und Belastungsintoleranz. Halten diese Symptome mehr als vier Wochen an, spricht man von Long-COVID. Als Post-COVID-Syndrom hat die WHO anhaltende Symptome über mehr als drei Monate definiert, die zu einer relevanten Einschränkung im Alltag führen. Nach Zahlen der WHO betrifft das Stand Juni 2023 ca. 3% der Bevölkerung. Bei vielen Betroffenen heilt Long-COVID innerhalb der ersten Monate aus. Patienten, die nach 6 Monaten noch anhaltend schwere Fatigue, Konzentrationsstörungen und Kopf- und Muskelschmerzen haben, sowie eine Belastungsintoleranz erfüllen häufig die Diagnosekriterien eines postinfektiösen Erschöpfungssyndrom ( ME/CFS).
Was ist ein Post-Vac-Syndrom ?
In wenigen Fällen können nach einer COVID-19-Impfung Symptome auftreten die der Klinik eines Long COVID Syndroms ähneln, dann sprechen wir von einem Post-Vac-Syndrom oder einem Multisystemisches Entzündungssyndrom(PIMS). Fallberichte deuten zurzeit auf ein deutlich geringeres Risiko als nach einer Infektion hin. Die Datengrundlage ist jedoch äußerst dünn.
Welche Symptome beobachten wir bei ME/CFS?
ME/CFS ist meist durch einen plötzlichen Beginn, oft mit einem viralen Infekt, gekennzeichnet. Leitsymptome sind eine schwere Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und körperliche Symptome, u.a. Halsschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen sowie ein Verlauf über mindestens 6 Monate. Zusätzlich besteht eine ausgeprägte Belastungsintoleranz, d.h. es kommt nach Anstrengung zu einer länger anhaltenden Zunahme der Beschwerden (sogenannte postexertional malaise). Viele Patienten leiden an häufigen Infektionen oder neu aufgetretenen Allergien. Zudem bestehen Kreislaufstörungen (pots – posturales Tachykardiesyndrom).
Welche Symptome beobachten wir beim Long-Covid-Syndrom?
Nach einer Coronainfektion können diverse Symptome verbleiben, wie krankhafte Erschöpfung (Fatigue) und Dyspnoe, Kopfschmerzen, Brust- und Gelenkschmerzen, Husten, Haarausfall, gastrointestinalen Symptome, neurologischen Symptome, Kreislaufprobleme, Riech- und Geschmacksstörungen, Depressionen, Belastungsintoleranz und Aktivitätseinschränkungen. Wir sprechen nach Ausschluß anderer Erkrankungen von einem Post-Covid-/Long-Covid-Syndrom.
Was sind die Ursachen von ME/ CFS ?
Die Ursache von ME/CFS ist bislang unbekannt. Es kann aber davon ausgegangen werden, das ME/CFS typischerweise nach einer Infektionskrankheit ausgelöst wird. Zum Beispiel nach einer Erkältung, einer echten Grippe oder einer Ansteckung mit dem Epstein-Barr-Virus, das das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen kann. Häufig sind die Patienten zu diesem Zeitpunkt auch in einer verletzlichen Lebensphase, also auch psychischem Stress ausgesetzt. Die Folge: Sie werden einfach nicht mehr gesund. Inzwischen weiß man auch, dass ME/CFS die Folge einer Covid-19-Erkrankung sein kann.
Wie wird ME/ CFS diagnostiziert?
Die Diagnostik wird anhand von verschiedenen Fragebögen erstellt. Hierbei sollte die Verwendung der Kanadischen Konsensus-Kriterien oder der Internationalen Konsensus-Kriterien Standard sein. Um den Schweregrad zu ermitteln, eignen sich die Bell-Skala und die Chalder-Fatigue-Scale. Die Diagnose ME/CFS ist eine Ausschlußdiagnose, d.h. dass eine sehr ausführliche Differentialdiagnostik erforderlich ist.
Bevor die Diagnose ME/CFS gestellt werden kann, müssen daher vor der Vorstellung bei uns einige andere Erkrankungen ausgeschlossen worden sein.Hierzu zählen einige internistische Erkrankungen. Zum Ausschluss dieser Erkrankungen sollten die folgenden Untersuchungen erfolgt sein:
Bei entsprechenden Beschwerden sollten zudem die folgenden Untersuchungen erfolgt sein:
Welche Störungen in den Regulationssystemen beobachten wir bei ME/CFS ?
Beim ME/CFS beobachten wir die Trias: Immundysfunktion, Störungen des Autonomen Nervensystem und des zellulären Energiestoffwechsel. Die Mitochondrien, der Energiekraftwerke der Körperzellen ist nachhaltig gestört, ausgelöst durch die vorhergegangene Infektion. Das Immunsystem ist überaktiviert, ähnlich wie bei einer Autoimmunerkrankung.
In unseren Zellen gibt es kleine "Energiefabriken", das sind Strukturen im Innern der Zellen, die den eingeatmeten Sauerstoff in mehreren Schritten in eine Energieform umwandeln, die den Körper antreibt, ATP (Adenosintriphosphat). Bei ME/CFS bricht dieser Stoffwechselweg zusammen oder wird stark beeinträchtigt.
Der Körper muss dann auf anderen Wegen Energie bereitstellen, ein sogenanntes Notstromaggregat wird aktiviert, doch diese Wege sind lange nicht so effizient und es entstehen Abbauprodukte wie Laktat, die wiederum andere Folgen nach sich ziehen.
Welche Therapiemaßnahmen kommen bei ME/CFS zum Einsatz?
Ein komplexes Krankheitsbild erfordert Therapiemaßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Vorausschauendes Energiemanagement, auch „pacing“ genannt beinhaltet, dass die durch die Erkrankung vorgegebenen Belastungsgrenzen nicht überschritten werden, dass ausreichend Ruhepausen und Schlaf eingehalten werden, sowie körperliche und kognitive Aktivitäten nur so weit gesteigert werden, dass sie zu keiner PEM führen. Die Berücksichtigung des eigenen Energiekorridors ist essenziell, um eine Abwärtsspirale im Krankheitsverlauf zu vermeiden.
Zudem gilt es Stresskontrolle (Coping) und psychosoziale Unterstützung einzuhalten. Mögliche exazerbierende Stressfaktoren gilt es zu vermeiden, dabei können Entspannungs- techniken helfen, die der meist erheblichen adrenergen Hyperstimulation entgegenwirken. Selbsthilfegruppen können der sozialen Isolation und erfahrenen Ausgrenzung entgegenwirken. Beratung und Informationen finden Patientinnen bei der Selbsthilfegruppe Fatigatio, der Lost Voices Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS. Weitere Therapiemodule fokussieren sich auf eine Optimierung einer bestehenden Darmdysbiose verbunden mit Ernährungsanalyse und Auslaßdiät bei Nahrungsmittel-intoleranzen. Die Verbesserung der mitochondrialen Leistung mittels Nahrungsergänzung wie auch die Supplementierung mit Vitaminen, Spurenelementen gehören ebenso dazu wie eine ganze Reihe weitere Maßnahmen. Störungen im autonomen Nervensystem können mittels Herzfrequenzvariabilitätsmessung diagnostiziert werden. Nicht selten kommen Infusionen bei schweren Krankheitsverläufen zum Einsatz.